Am 12. Dezember wählen die Briten ein neues Parlament. Wie diese Wahl ausgehen wird, ist schwer zu sagen. Obwohl sich sowohl die Konservativen als auch die Labour-Partei darum bemühen, die politische Debatte auszuweiten, bleibt der Brexit das alles beherrschende Thema. Im Vorfeld dieser wichtigen Wahl übernimmt mein Kollege Paul Jackson den heutigen Blogbeitrag für unseren Wöchentlichen Marktkompass. Paul ist aus unserem Londoner Büro heraus tätig und verfolgt die Umfrageergebnisse und Nachrichten rund um die Wahlen sehr genau.
Paul Jackson: Vielen Dank, Kristina. Mit dieser Wahl will der britische Premierminister Boris Johnson sich ein Mandat sichern, mit dem er sein mit der EU ausgehandeltes Austrittsabkommen durch das Parlament bekommen würde. Sollte sein Plan aufgehen, würde das Vereinigte Königreich die EU theoretisch bis zum 31. Januar 2020 verlassen und damit den Prozess der Verhandlungen über die künftige Handelsbeziehung zwischen Grossbritannien und der EU in Gang setzen. Unserer Ansicht nach haben die britischen Finanzmärkte dieses Szenario bereits weitgehend eingepreist.
Ein kurzer Blick auf die jüngsten Umfragewerte signalisiert, dass die Aussichten für Johnson gut sind. In den Meinungsumfragen liegt seine Konservative Partei deutlich vor der Labour-Partei (39% gegenüber 28% gemessen am Durchschnitt der zehn letzten Meinungsumfragen).1 Allerdings sollte auch nicht vergessen werden, dass Theresa May mit einem noch grösseren Vorsprung in den Wahlkampf des Jahres 2017 gestartet war, diesen dann aber noch komplett einbüsste.
Es gibt zwei Dinge, die Johnsons „geregelten“ Brexit verhindern könnten:
- Sollte die Summe der von der Konservativen Partei und der Brexit-Partei gewonnenen Parlamentssitze so hoch sein, dass sich die Gewichte in Westminster zugunsten der Befürworter eines „harten Brexits“ verlagern (oder die Brexit-Partei zum Mehrheitsbeschaffer werden), könnte es doch noch zum Austritt ohne Abkommen kommen.
- Sollte Labour gewinnen oder (was wahrscheinlicher ist) keine Partei eine ausreichende Regierungsmehrheit erhalten, könnte die einzige Lösung ein zweites Referendum sein.
Unserer Vermutung nach würde das erstgenannte Szenario zu einer Abwertung des britischen Pfundes, einem Rückgang der britischen Staatsanleiherenditen und wahrscheinlich auch Kursverlusten am britischen Aktienmarkt führen (was vor allem Aktien von binnenwirtschaftlich orientierten Unternehmen zu spüren bekommen dürften). Die Aussicht auf ein zweites Referendum (und einen Verbleib Grossbritanniens in der EU) dürfte das Pfund und britische Aktien dagegen stützen (abhängig vom Wahlausgang).
Umfragen signalisieren Zugewinne für Konservative
Angesichts der vielen Faktoren, die aktuell zusammenkommen, ist es sehr schwer, den Ausgang dieser Wahl vorherzusagen. Parlamentsabgeordnete sind zurückgetreten oder haben die Partei gewechselt, verschiedene Bündnisse zwischen Parteien sind gebildet worden und auch die Wähler wechseln zwischen den Parteien, um ihre Brexit-Präferenz auszudrücken. Den Wahlausgang mit hundertprozentiger Sicherheit zu prognostizieren ist unmöglich. Umfragedaten, Parteienbündnisse und Erkenntnisse aus früheren Wahlen können aber gute Hinweise auf das wahrscheinliche Ergebnis dieser Wahl geben.
Abbildung 1 zeigt die Ergebnisse unserer Analyse der einzelnen Wahlbezirke anhand der seit der Parlamentswahl 2017 wirkenden regionalen „swing factors“, die bestimmen, wie sich Wechselwähler entscheiden. Angewandt auf die jüngsten Meinungsumfragen signalisiert diese Methodik, dass die Konservative Partei zusätzlich zu ihren derzeit 298 Sitzen 49 Sitze hinzugewinnen könnte (womit sie insgesamt 347 hätte) und Labour 44 Sitze verlieren könnte, damit also nur noch 199 Abgeordnete im Parlament hätte. (Unserer Analyse zufolge wäre die Brexit-Partei im Parlament weiterhin nicht vertreten.) Das würde für eine konservative Mehrheit von 44 Sitzen reichen und unseren Schätzungen zufolge damit auch für die parlamentarische Zustimmung zu Johnsons Brexit-Abkommen, so dass Grossbritannien die EU bis zum 31. Januar 2020 verlassen würde.
Aufgrund des britischen Wahlrechts könnten zwei Bündnisse allerdings zu einem anderen Ergebnis führen. Die „Remain-Allianz“ aus Liberaldemokraten, Green Party und der walisischen Nationalpartei Plaid Cymru hält 60 Sitze in England und Wales. Unseren Analysen zufolge hätte sie aber eine lediglich begrenzte Wirkung. Die Entscheidung der Brexit-Partei, nicht in Wahlbezirken zu kandidieren, die 2017 an die Konservativen gingen (was wir als „Bündnis“ klassifizieren), könnte der Konservativen Partei zusätzliche Sitze sichern, und zwar vor allem auf Kosten der Liberaldemokraten. Wir gehen davon aus, dass die Brexit-Partei nach der Wahl weiterhin keine Abgeordneten stellen wird.
Das Ergebnis — veranschaulicht in der letzten Spalte von Abbildung 1 — könnte eine 60-Sitze-Mehrheit für die Konservativen sein, was unserer Ansicht nach ausreichen würde, um den Brexit – zumindest Teil 1 – zu vollziehen.