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Die Welt verändert sich; die Zeit des Überflusses ist vorbei

Die Welt verändert sich; die Zeit des Überflusses ist vorbei
Kurz zusammengefasst
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Die Ära billiger Arbeitskräfte und Rohstoffe ist vorüber, und zwischenstaatliche Konflikte haben zugenommen.

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Das Umfeld wird instabiler, und Interventionen von Notenbanken sind keine Selbstverständlichkeit mehr.

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Substanzwerte sollten gegenüber Wachstumswerten etwas Boden gutmachen.

Die Welt im Umbruch

Die Finanzlandschaft ändert sich gerade schneller und dramatischer als viele Investoren je erlebt haben. Viele von uns sind in einer Welt niedriger Zinsen und Volatilität aufgewachsen. Die Notenbanken haben die Märkte stets gestützt, und Investoren in Wachstumswerte waren Helden. Viele können sich zwar kaum etwas anderes vorstellen. Die letzten Jahrzehnte waren jedoch sehr ungewöhnlich und profitierten von einigen sehr positiven Faktoren, die sich jetzt ins Gegenteil umkehren. Da sich das Investmentumfeld jetzt schnell verändert, sollten wir unsere üblichen Abläufe überdenken.
 

Eine ungewöhnliche Ära geht zu Ende

Demografie

Die letzten Jahrzehnte waren von einem Überfluss billiger Arbeitskräfte gekennzeichnet, vor allem in China und anderen Emerging Markets. Dadurch konnten die Unternehmen ihre Gewinne und Margen steigern, die Inflation blieb jedoch niedrig oder sogar negativ. Heute herrscht weltweit Arbeitskräftemangel, der nicht nur auf Covid-19, sondern zunehmend auch auf größere demografische Veränderungen zurückzuführen ist. Der Anteil der Erwerbsbevölkerung sinkt im Vergleich zur Gesamtbevölkerung – und oft auch absolut.

Als China 2000 der Welthandelsorganisation (WTO) beitrat, erhielten dadurch andere Mitgliedstaaten Zugang zu einem großen und rasch wachsenden Angebot an billigen Arbeitskräften. Daher lagerten Unternehmen aus dem Westen ihre Produktion dorthin aus. Dieser Trend kehrt sich jetzt um, da die Erwerbsbevölkerung in China immer schneller sinkt (Abbildung 1).

Abb. 1. Die chinesische Erwerbsbevölkerung beginnt rasch zu schrumpfen

Quelle: Macrobond, Stand: Oktober 2022.

China ist nur das größte Beispiel für diesen demografischen Wandel. In einigen Ländern sind die Änderungen sogar noch stärker ausgeprägt. In Japan schrumpft die Bevölkerung seit vielen Jahren, und Korea weist mit nur 0,81 Geburten pro Frau zurzeit die niedrigste Geburtenrate der Welt auf. In Japan lag die Geburtenrate 2019 bei 1,4. Um die Bevölkerungsgröße beizubehalten, ist eine Rate von rund 2,1 nötig (unter der Annahme, dass es zu keiner Zuwanderung kommt). In immer weniger Ländern sind demografische Trends zu beobachten, die das Wachstum unterstützen. Ausreißer sind lediglich Indien und einige afrikanische Länder.

In den USA hat die Covid-19-Pandemie zu großer Resignation geführt. Die Folge war ein starker Rückgang der Erwerbsbevölkerung, die noch immer nicht das frühere Niveau erreicht hat. Wie die folgende Abbildung zeigt, lässt der längerfristige Trend vermuten, dass die Bevölkerung im Ruhestand gegenüber der Erwerbsbevölkerung zunehmen wird. Zugleich verschlechtert sich leider der Gesundheitszustand der älteren Bevölkerung. Die Lebenserwartung ist in den USA in den letzten Jahren gesunken, und auch der Gesundheitszustand der Erwerbsbevölkerung hat sich verschlechtert. Das zeigt sich an schnell steigenden Adipositasraten.

Abb. 2. In den USA im nächsten Jahrzehnt mehr Rentner als Erwerbstätige

Quelle: Macrobond, Stand: Oktober 2022.

Die Folgen: höhere Arbeitskosten, höhere Investitionen, höhere Ausgaben für Gesundheit und höhere Inflation

Globalisierung

Ein weiterer Trend war die zunehmende Globalisierung, die auch eine Integration von Lieferketten mit sich brachte. Dieses Thema steht in engem Zusammenhang mit den zuvor beschriebenen günstigen demografischen Faktoren. Durch Umstellung auf Just-in-Time-Fertigungsmethoden konnten Unternehmen ihre Lagerbestände erheblich verringern und ihre Produktion in die kostengünstigste Gegend auslagern. Covid-19 und zunehmende geopolitische Spannungen haben jedoch die Verwundbarkeit dieser Lieferketten offengelegt. Diese Probleme werden zwar nicht verschwinden. Dennoch dürfte es in den kommenden Jahren zu einer Neuordnung kommen, da die Unternehmen ihre Lieferketten diversifizieren wollen, um sie widerstandsfähiger zu machen.

China setzt zunehmend auf Abschottung und fördert seine selbst entwickelten Branchen. Dadurch wird die Wachstumsunterstützung für Regionen wie Europa nachlassen. Das ist zwar nicht das Ende der Globalisierung. Warenhandel und Dienstleistungen werden auch künftig grenzüberschreitend angeboten werden. Im Gegensatz zu einer globalen Wirtschaft werden Muster und Umfang der Handelsströme jedoch schrumpfen. 

Die Folgen: höhere Investitionen, Rückverlagerung von Produktionsstätten (auch in befreundete Staaten), höhere Lagerbestände, höhere Inflation
 

Billige Energie

Ohne Energie ist kein Teil der Wirtschaft funktionsfähig. Globalisierungstrends wurden von billigen fossilen Brennstoffen getragen, sodass Waren kostengünstig um die Welt transportiert werden konnten. Seit einigen Jahrzehnten sind Volkswirtschaften immer effizienter in der Lage, Energie in Wirtschaftsleistung zu transformieren. Dennoch setzen sie nach wie vor auf fossile Brennstoffe, die oft von einigen wenigen „unfreundlichen“ Lieferanten stammen. Die USA haben in den letzten 15 Jahren ihre Ölförderung aus Schiefer forciert und sind praktisch energieunabhängig geworden. In Europa sind die Energiekosten höher als in den USA. Bis voriges Jahr waren sie jedoch zumindest sehr stabil und real rückläufig.

Abb. 3. In Europa sind die Erdgaspreise in den letzten 15 Jahren real gesunken

Quelle: Bloomberg, Stand: 30. September 2022.

Billige fossile Brennstoffe verschlimmern den Klimawandel. Die Externalitäten hat man jedoch weder lokal noch schnell verspürt, weil die Erderwärmung ein langsamer Prozess ist und ärmere Länder in Äquatornähe zuerst betraf. Deshalb sind bislang auch nur begrenzte Klimaschutzmaßnahmen ergriffen worden. Das ändert sich jedoch gerade, da das Bewusstsein zunimmt und die Bevölkerung Politiker, Unternehmen und Investoren zum Handeln anhält. Unseres Erachtens wird die Energiewende jetzt von der Sicherheitslage beeinflusst und vorangetrieben. Die Welt erkennt, wie riskant es ist, von einigen wenigen nicht gerade wohlgesinnten Akteuren abzuhängen.

Die Folgen: höhere Investitionen in die Energiewende, dadurch mittelfristig Inflationsdruck, längerfristig jedoch zuverlässigere und kostengünstigere Energieerzeugung
 

Friedensdividende

Steven Pinker erläuterte in seinem Buch The Better Angels of our Nature (2012; deutsche Ausgabe: „Gewalt. Eine neue Geschichte der Menschheit“), dass die Welt trotz sensationslüsterner Medien ein viel sicherer Ort geworden war. So wurden weltweit etwa erheblich weniger Konflikte und Tötungsdelikte verzeichnet. Leider dürfte diese Publikation zum Zeitpunkt der wenigsten zwischenstaatlichen Konflikte erschienen sein. Seitdem schwingt das Pendel wieder in die andere Richtung. Mittlerweile gibt es wieder so viele zwischenstaatliche Konflikte wie zuletzt 1990, als ein Höchstwert verzeichnet wurde. Erfreulicherweise ist zwar die Zahl der Todesfälle nicht im selben Ausmaß gestiegen, doch sogar Pinker selbst fragt sich, ob tatsächlich eine Trendwende erfolgt ist.1

Abb. 4. Zwischenstaatliche Konflikte haben im vergangenen Jahrzehnt zugenommen

Quelle: ourworldindata.org, Stand: Oktober 2022.

Das Ende des Kalten Kriegs und der Fall der Berliner Mauer führten gegen Ende der 1980er- und Anfang der 1990er-Jahre zu einem deutlichen Rückgang der Militärausgaben.

Abb. 5. Verteidigungsausgaben dürften steigen

Quelle: ourworldindata.org, Stand: Oktober 2022.

Die geringeren Militärausgaben bedeuteten eine Friedensdividende für die Welt. Ausgaben, die für Waffen vorgesehen waren, wurden besonders in Europa in soziale Projekte und eine Stärkung des Wohlfahrtsstaats umgeleitet. Der Krieg zwischen Russland und der Ukraine hat in Europa zu einem Umdenken in der Verteidigungspolitik geführt. Jetzt zielen die meisten Staaten in den nächsten Jahren auf einen Anteil der Militärausgaben am BIP von 2 % ab. Höhere Verteidigungsausgaben bedeuten niedrigere Ausgaben für andere Bereiche oder höhere Staatsverschuldung.

Die Folgen: steigende Verteidigungsausgaben und daher weniger Ausgaben für soziale Projekte oder Schuldenaufnahme
 

Der „Zentralbank-Put“

Vorausschauende Notenbanken konnten in den letzten 15 Jahren bei ersten Anzeichen von Konjunkturschwäche ihre Geldpolitik lockern. Möglich war das deshalb, weil Disinflation traditionell ein Symptom konjunktureller Schwäche war. Dieser Zusammenhang gilt heute jedoch nicht mehr. Die Notenbanken müssen um Glaubwürdigkeit kämpfen, und wenn die oben beschriebenen Trends eintreten, dürften die kommenden Jahre von höherer und volatilerer Inflation gekennzeichnet sein. Das könnte die Notenbankpolitik erschweren. Sie würden erst dann aggressiver intervenieren, wenn die Inflation gefallen ist oder systemische Probleme Eingriffe erfordern.

Die Folge: Unterstützungsmaßnahmen von Notenbanken werden von bestimmten Bedingungen abhängen.
 

Zusammenschau: Was bedeutet das alles für die Märkte?

Seit etwa 15 Jahren herrschen ein großes Angebot an billigen Arbeitskräften und Rohstoffen, eine niedrige Inflation und historisch niedrige makroökonomische Unsicherheit. Das führte zu gemäßigten Rahmenbedingungen und ermöglichte lange Markttrends. Die zwei offensichtlichsten sind sinkende Anleiherenditen und Mehrerträge von Titeln mit dem Stilschwerpunkt auf Wachstum. Niedriges Wachstum, niedrige Inflation und der Trend zu Nullzinsen bilden das perfekte Umfeld für solche Vermögenswerte mit langer Duration. Die folgende Abbildung zeigt, wie gut sich Growth ggü. Value entwickelt hat (Wachstums- gegenüber Substanzwerten). Zudem ist daraus zu ersehen, dass diese Entwicklung im Vergleich zum vorigen Jahrhundert eher eine Anomalie war.

Abb. 6. Der Mehrertrag von Growth in den letzten 15 Jahren war sehr ungewöhnlich

Quelle: Datenbibliothek von Ken French, 30. September 2022.

*Value vs. Growth nach der Definition von Fama und French auf der Basis des Kurs-Buchwert-Verhältnisses: 1/2 (kleine Value-Titel + große Value-Titel) – 1/2 (kleine Growth-Titel + Große Growth-Titel). Die vollständige Definition finden Sie hier.

Die Entwicklung wird holprig verlaufen. Sollten die oben erläuterten Trends eintreten, ist ein gewisser Umschwung zu erwarten.

Eine andere Interpretation der veränderten Rahmenbedingungen deutet darauf hin, dass die Anleger eine andere Art von Erträgen erzielen können (und wollen). Im früheren Umfeld – bei niedriger makroökonomischer Unsicherheit und Volatilität sowie einem Diskontsatz nahe null – hatten unsichere künftige Cashflows einen viel höheren Wert, kurzfristig zu erzielende Erträge (d. h. Dividenden) waren jedoch weniger gefragt. Bei Anleihen mussten Investoren unterdessen mit Nullrenditen oder sogar negativen Renditen zurechtkommen – und hofften auf die Kapitalerträge, um eine positive Rendite zu erzielen. Die optimale Portfoliostrategie wäre im letzten Jahrzehnt also gewesen, Aktien mit hohen Dividendenrenditen zu meiden. 

Abb. 7. In Phasen makroökonomischer Unsicherheit erzielten Aktien mit hoher Dividendenrendite höhere risikoadjustierte Erträge

*Allokation zur Maximierung der Sharpe Ratio. Rollierende monatliche Renditen über zehn Jahre.

Quelle: Goldman Sachs Investment Research, Kenneth French, Datastream.

Das ändert sich jetzt. Höhere Unsicherheit und Diskontsätze bedeuten, dass sichere Anleihen- oder Dividendenerträge viel attraktiver werden.

Mitte 2008 entfielen etwa 14 % der weltweiten Aktienmärkte auf Energieaktien. Heute machen sie nur 5 % des Weltaktienindex aus. Diese Unternehmen ermöglichen eine weltweite Senkung der CO2-Intensität. Deshalb sollten sie bei diesem Wandel von staatlicher Unterstützung und niedrigeren ESG-Abschlägen als in den letzten Jahren profitieren.

Regional gesehen haben US-Aktien in den letzten Jahren alle anderen Märkte deutlich übertroffen. Wenn unsere Einschätzungen korrekt sind, spricht in den kommenden Jahren vieles für eine Rotation in europäische und japanische Titel. Diese Märkte bieten Aktien mit kürzerer Duration, die stärker von den Trends zu höheren Fiskalausgaben und Investitionen profitieren.

Während sich diese neuen Rahmenbedingungen etablieren, sprechen Instabilität, mangelndes Wachstum außerhalb der USA und eine restriktive Geldpolitik der Fed auch weiterhin für einen starken US-Dollar. Allerdings dürften die oben skizzierten Trends am Ende den US-Dollar etwas unter Druck bringen, falls das Wachstum internationaler Märkte außerhalb der USA zulegt und wieder steigende Kapitalflüsse anzieht. Im Extremfall könnte es zu einer Fragmentierung der Handelsrouten kommen, sodass Transaktionen in Zukunft vielleicht mit mehreren verschiedenen Währungen – möglicherweise auch Kryptowährungen – abgewickelt werden.

Die letzten 10–15 Jahre waren sehr ungewöhnlich und wurden von großen makroökonomischen und geopolitischen Trends geprägt, die sich jetzt jedoch ändern. Durch diesen Umbruch werden Investmentaktivitäten an den Märkten äußerst komplex. Unseres Erachtens wird sich das Umfeld, das uns erwartet, deutlich vom bisherigen unterscheiden.

Wesentliche Risiken

  • Der Wert einer Anlage und die Erträge hieraus können sowohl steigen als auch fallen, und es ist möglich, dass Anleger den ursprünglich angelegten Betrag nicht zurückerhalten.

Wichtige Hinweise

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    Die in diesem Material dargestellten Prognosen und Meinungen sind subjektive Einschätzungen und Annahmen des Fondsmanagements oder deren Vertreter. Diese können sich jederzeit und ohne vorherige Ankündigung ändern. Es kann keine Zusicherung gegeben werden, dass die Prognosen wie vorhergesagt eintreten werden.