Metaversum - Was ist das?
Treiber eines grundlegenden Wandels
Die „neue Normalität“ ist heute ein oft strapazierter Begriff. Man könnte meinen, weltverändernde Innovationen seien alltäglich geworden. Durchbrüche, die fast jeden Aspekt unseres Lebens beeinflussen könnten, sind jedoch nach wie vor recht selten.
Die bedeutendsten der letzten Jahrzehnte sind vielleicht das Internet und das Smartphone. Sie entfalten eine enorme und dauerhaft transformative Kraft. Wenn wir diese Entwicklung fortschreiben, bewegen wir uns auf den wahrscheinlich nächsten Treiber eines immensen technologischen Wandels zu: das Metaversum.
Der Gründer von Facebook, Mark Zuckerberg, hat das Metaversum als „verkörpertes Internet“ bezeichnet. Dort können wir alles tun, was wir bisher mit unseren Smartphones, Tablets, Laptops und so weiter tun, also auch Einkäufe erledigen, Kontakte pflegen, spielen, Live-Streams genießen, lesen und lernen − allerdings in gemeinsamen, immersiven virtuellen Umgebungen.
Mit anderen Worten: Das Metaversum wird eine echte Präsenz erzeugen, anders als 2D-Applikationen oder eine Website. Es soll die physische Welt mit der digitalen verschmelzen lassen und unseren Seh-, Hör- und Tastsinn − die Realität − erweitern.
Das Metaversum könnte auch Anlagechancen bieten. Um sie zu erfassen, müssen wir jedoch zunächst das weitreichende und beispiellose Potenzial dieser Innovation verstehen: Sie kann diese Welt verändern, indem sie neue Welten schafft.
Von der Idee zum Wachstumstreiber
Das Konzept des Metaversums wurde vor 30 Jahren im Science-Fiction-Roman Snow Crash zum ersten Mal erwähnt. Der Autor des Buchs, Neal Stephenson, stellte sich eine virtuelle 3D-Welt vor, in der Menschen − in Form von Avataren − untereinander und mit Software interagieren können. Ähnliche Ideen kamen später beispielsweise in The Matrix und Ready Player One vor.
Für Isaac Asimov sollte Science-Fiction „das Unvermeidliche vorhersehen“. Einige Meilensteine auf dem Weg zur Umsetzung des Metaversums sind mittlerweile bereits erreicht worden, etwa Spiele wie Second Life und Fortnite sowie die Erfindung von Kryptowährungen und Blockchain-Technologie, die ihnen zugrunde liegen.
Neben dem anhaltenden technologischen Fortschritt tragen auch demografische Entwicklungen zur Entstehung des Metaversums bei. Diese Idee dürfte besonders für die Generation Z attraktiv sein. Eine Umfrage hat gezeigt, dass viele dieser Generation sich gern in einer virtuellen Spielumgebung „aufhalten“ würden, auch ohne sich unmittelbar am Spiel zu beteiligen.2
Auch die COVID-19-Krise hat zu einer umfassenden Neubetrachtung unserer Art der Interaktion beigetragen. Angesichts von Lockdowns und anderen Beschränkungen sind jetzt viel mehr Menschen bereit, privat wie beruflich virtuell miteinander in Kontakt zu treten. Das macht das Metaversum noch attraktiver und relevanter.
Unter Berücksichtigung all dieser Überlegungen wird schnell deutlich, dass diese Innovation weitreichende Auswirkungen haben dürfte. Sie hat alle Attribute eines „schöpferischen Trends“.
Umwälzende Veränderungen in vielen Sektoren
Emergen Research, ein Beratungsunternehmen, das sich auf disruptive Technologien spezialisiert hat, bezifferte den Marktwert des Metaversums im Jahr 2020 auf fast 48 Mrd. USD und prognostizierte ein Wachstum auf über 280 Mrd. USD bis 2025 und etwa 830 Mrd. USD bis 2028.3
Es wird also angenommen, dass der Marktwert in weniger als einem Jahrzehnt von unter 50 Mrd. USD auf knapp 1 Bio. USD wachsen wird.
Bei einem solchen Marktwachstum sind in gleich mehreren Sektoren Umwälzungen zu erwarten. Der folgende kurze Überblick zeigt einige Beispiele von Bereichen, die die Metaversum-Technologie maßgeblich verändern könnte.
Zu den offensichtlichsten Profiteuren zählt die Spielebranche (Gaming). Einige gestalterischen Elemente des Metaversums sind bei beliebten Spielen wie Fortnite bereits vorhanden. Sie setzen zunehmend auf Technologien wie virtuelle Realität (VR), erweiterte Realität (AR) und künstliche Intelligenz (KI).
Auch soziale Medien und Videokonferenz-Lösungen dürften von Fortschritten profitieren, die immersivere, persönlichere und gemeinschaftsorientiertere Erlebnisse ermöglichen. Beispielsweise nutzt Snapchat bereits AR-Komponenten, und Teams sowie Zoom sind erst ein Vorgeschmack auf digitale Zusammenkünfte mit unbegrenzter Teilnehmerzahl und Möglichkeiten zur Monetarisierung, etwa durch VIP-Zugang.
Die Zukunft hat bereits begonnen
E-Learning floriert bereits seit dem Ausbruch von COVID-19 und könnte wahrscheinlich vom Metaversum ebenso profitieren. Auch hier ist der Wandel bereits im Gange. Beispielsweise begann das Bildungsamt der südkoreanischen Stadt Seoul während der Pandemie, bei Online-Wissenschaftskursen VR und Avatare zu nutzen.
Zudem dürfte das Metaversum die Weiterentwicklung der Telemedizin vorantreiben und persönlichere digitale Arztkonsultationen ermöglichen. Das Medizin-Start-up XRHealth hat bereits eine virtuelle Umgebung entwickelt, um Bereiche wie Schmerz- und physikalische Therapie zu verbessern.
Besonders empfänglich für „kreative Zerstörung“ ist die Unterhaltungsbranche. Man stelle sich ein Konzert ohne Anreise und Warteschlangen vor. Außerdem lockt dort ein perfekter, uneingeschränkter 3D-Blick. Auch hier hat die Zukunft bis zu einem gewissen Grad bereits begonnen: Die Sänger Travis Scott und Ariana Grande sind durch ihre Avatare auf der Plattform Fortnite aufgetreten.
Ein grundlegender Wandel ist auch im E-Commerce absehbar. Dort werden Käufer im Metaversum Produkte vor dem Kauf „probieren“ können. Einige Unternehmen entwickeln bereits Markenartikel für Avatare: Gucci hat vor Kurzem eine virtuelle Handtasche für 4.115 USD verkauft − mehr als das physische Gegenstück in einer Boutique kostet.4
All diese Segmente dürften von der Entstehung des Metaversums profitieren. Für 2025 wird der Marktwert des Gaming-Sektors auf bis zu 286 Mrd. USD geschätzt5, soziale Medien auf bis zu 750 Mrd. USD6, Videokonferenz-Lösungen auf bis zu 50 Mrd. USD7, E-Learning auf bis zu 415 Mrd. USD8, Telemedizin auf bis zu 276 Mrd. USD9, Online-Unterhaltung auf bis zu 447 Mrd. USD10 und E-Commerce auf bis zu 20 Bio. USD11.
Eine neue Normalität, die man nicht ignorieren kann
Es wurde ausführlich darüber berichtet, dass Mark Zuckerberg entschlossen ist, „dem Metaversum zum Durchbruch zu verhelfen“. Dementsprechend wurde Facebook im Oktober 2021 in Meta umbenannt. Darauf angesprochen sagte Zuckerberg: „Ich hoffe, dass wir im Laufe der Zeit als Unternehmen des Metaversums wahrgenommen werden.“ 12
Diesem Ziel haben sich jedoch nicht nur die bekanntesten Lichtgestalten großer Technologieunternehmen verschrieben. Zahlreiche weniger beachtete Marktakteure verfolgen den gleichen Traum. Unity, ein führender Entwickler von Game-Engines will „das 3D-Betriebssystem der Welt13 “ werden. Weitere Architekten und Wegbereiter müssen sich noch offenbaren.
Wie im Falle des Internets wird auch das Metaversum per se niemand „besitzen“. Vielerlei Akteure, von Einzelpersonen über Start-ups bis hin zu internationalen Unternehmen, dürften zu Schaffung und Betrieb beitragen, während sich das Metaversum gerade konkretisiert.
Das Metaversum dürfte also tatsächlich entstehen. Das wird zwar nicht über Nacht geschehen. Es kann viele Jahre dauern.
Wir können daher folgern, dass der Umbruch mindestens genauso umfassend sein wird wie bei früheren schöpferischen Trends, wenn nicht stärker. Solche Transformationen beeinflussen mehrere Sektoren und zeigen sich in unserem Alltagsleben. Das wird im wahrsten Sinne des Wortes zu einer neuen Normalität führen, die wir nicht ignorieren können − weder als Bürger noch als Investor.
Dr. Henning Stein ist Global Head of Thought Leadership and Market Strategy bei Invesco.
Metaverse
Es ist nicht nur eine neue Stufe der digitalen Evolution, es ist unserer Meinung nach eine der größten Revolutionen seit der Erfindung des World Wide Web.
Fußnoten
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1 Zum Beispiel: The Verge: „Mark in the metaverse“, 22. Juli 2021.
2 Zum Beispiel: Newzoo Consumer Insights: „Gen Z gamers: key insights“, 31. August 2021.
3 Zum Beispiel: Emergen Research (2021): „Metaverse market, by component (hardware, software), by platform (desktop, mobile), by offerings (virtual platforms, asset marketplaces and others), by technology (blockchain, AR and VR, mixed reality), by application, by end-use and by region forecast to 2028“.
4 Zum Beispiel: South China Morning Post: „Metaverse and NFTs: from Gucci to Starbucks, luxury and consumer brands rush into the virtual world for their pots of gold“, 12. März 2022.
5 Zum Beispiel: Mordor Intelligence (2021): „Gaming market – growth, trends, COVID-19 impact and forecast (2022-2027)“.
6 Zum Beispiel: Research and Markets (2021): „Social networking platforms market – forecasts from 2021 to 2016“.
7 Zum Beispiel: Global Market Insights (2021): „Video-conferencing market size, by component (hardware [multipoint control unit, codecs, peripheral devices], software [on-premise, cloud], service [professional, managed]), by type (room-based, telepresence, desktop), by application (corporate enterprise, education, government, healthcare), COVID-19 impact analysis, regional outlook, growth potential, competitive market share and forecast, 2021-2027“.
8 Zum Beispiel: Report Linker (2021): „E-learning market – global outlook and forecast, 2021-2026“.
9 Zum Beispiel: Fortune Business Insights (2021): „Telehealth market size, share and COVID-19 impact analysis, by type (products and services), by application (telemedicine, patient monitoring, continuous medical education and others), by modality (real-time [synchronous], store-and-forward [asynchronous] and remote patient monitoring), by end-user (hospital facilities, homecare and others) and regional forecast, 2021-2028“.
10 Zum Beispiel: Allied Market Research (2020): „Online entertainment market expected to reach $652.5 billion by 2027 – Allied Market Research“.
11 Zum Beispiel: Grand View Research (2020): „E-commerce market size, share and trends analysis report, by model type (B2B, B2C), by region (North America, Europe, APAC, Latin America, Middle East and Africa) and segment forecasts, 2020-2027“.
12 Zum Beispiel: The Verge: „Mark in the metaverse“, 22. Juli 2021.
13 Zum Beispiel: TechCrunch: „How Unity built the world’s most popular game engine“, 17. Oktober 2019.
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Stand der Daten: Juni 2022
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EMEA 2257783/2022