Vor der Coronavirus-Pandemie hatten die Notenbanken und Regierungen nur noch begrenzte Möglichkeiten, sich der nächsten Rezession mit traditionellen Instrumenten entgegenzustemmen. In großen Teilen der entwickelten Welt lagen die Zinsen bereits nahe null, die staatlichen Defizitvorgaben ließen nur wenig Spielraum für fiskalische Konjunkturmaßnahmen und die Zentralbankbilanzen waren bereits stark aufgebläht.
Die verheerenden Auswirkungen des Coronavirus zwangen die Politik dazu, radikal neue Maßnahmen in Erwägung zu ziehen, um privaten Haushalten und Unternehmen zu helfen, den wirtschaftlichen Lockdown zu überstehen. In den Industrieländern haben die Regierungen Haushaltsdefizite von bis zu 20% des BIP angekündigt, um Unterstützungsleistungen wie Arbeitslosenhilfe, Lohnersatzleistungen für zwangsbeurlaubte Beschäftigte, Hilfsgelder für Unternehmen, die ihren Betrieb schließen mussten, oder Steuergutschriften bereitzustellen. Finanziert werden diese Budgetdefizite de facto von den Zentralbanken, die als Ankäufer von Staatsanleihen am Sekundärmarkt ebenfalls eine Schlüsselrolle spielen. Einige Zentralbanken sind zudem zur Zinskurvensteuerung und Ankäufen von Unternehmensanleihen (einschließlich Hochzinsanleihen) übergegangen.
An der Schlussfolgerung, dass die moderne Geldtheorie (Modern Monetary Theory bzw. MMT) Recht hat, führt kaum ein Weg vorbei – Regierungen, die in ihrer eigenen Währung Kredite aufnehmen und so viel Geld drucken lassen können, wie sie für die Bezahlung ihrer Verbindlichkeiten benötigen, unterliegen nicht den gleichen Budgetbeschränkungen wie private Haushalte. Die Zentralbank kann jederzeit neue Banknoten drucken lassen, um das staatliche Haushaltsdefizit zu finanzieren, und die Budgetbeschränkungen, mit denen die vorherige Sparpolitik begründet wurde, gibt es an sich nicht. Natürlich wissen wir noch nicht, welche Folgen die monetäre Finanzierung von Staatsdefiziten hat. Im aktuellen Kontext ist aber festzuhalten, dass die Zentralbank einspringt, um eine Lücke zu füllen. Bei der Pandemie handelt es sich um eine Krise der Realwirtschaft. Daher ist es auch sinnvoll, dass die Zentralbanken das Wachstum der breiten Geldmenge adressieren und die Banken dazu genutzt haben, Gelder an Haushalte und Unternehmen weiterzuleiten, um Einkommensverluste auszugleichen. Weil die Umlaufgeschwindigkeit der Geldmenge gesunken ist, haben die Zentralbanken darauf gesetzt, das Wachstum der breiten Geldmenge anzukurbeln, um das nominale BIP zu stützen.
Inzwischen wird die Wirtschaft vielerorts wieder hochgefahren und das Wachstum erholt sich. Werden sich damit auch die Regierungen und Zentralbanken wieder auf die alte Lehre besinnen, dass die Fiskal- und Geldpolitik getrennt sein sollten und Staaten nur so viel ausgeben sollten, wie sie durch Steuereinnahmen oder Neuverschuldung wieder hereinholen können? Die Regierungen werden kaum argumentieren können, dass das Gesundheitssystem unterfinanziert bleiben muss, weil es dafür einfach kein Geld gibt – schließlich können die Zentralbanken der Regierung beliebig ‚Schecks ausstellen‘, wie wir gerade gesehen haben. Solange die monetär finanzierten Staatsausgaben die Wirtschaft nicht über die Vollbeschäftigung hinaus in eine Situation der „Überbeschäftigung" katapultieren, wird der Inflationsdruck begrenzt bleiben. Selbst außerhalb von Krisensituationen gibt es Hinweise dafür, dass die meisten Volkswirtschaften nicht automatisch zur Vollbeschäftigung zurückkehren und dass die Abneigung der Regierungen gegenüber Haushaltsdefiziten einen Schuldenaufbau im privaten Sektor zur Folge hat, was wiederum zu Instabilität führt.
Es gibt zwei Gruppen von Ländern, für die eine monetäre Finanzierung von Staatsdefiziten problematisch ist – stark in ausländischer Währung verschuldete Schwellenländer und Mitgliedstaaten der Eurozone. Das Hauptproblem der Schwellenländer besteht darin, dass sie kein ausländisches Geld drucken können, um ihre Schulden zurückzuzahlen. Ein zweites Problem sind die steigenden Auslandsschulden im Fall einer Währungsabwertung. Trotz dieser Beschränkungen und einer starken Zunahme von Hilfsanträgen an den IWF haben viele Schwellenländer bedeutende quantitative Lockerungsprogramme gestartet und in einigen Fällen sogar Staatsanleihen am Primärmarkt angekauft. Wie erfolgreich diese Maßnahmen letztlich sein werden, lässt sich noch nicht sagen. Die starken Abwertungen der Währungen mehrerer Schwellenländer in diesem Jahr sind aber ein beunruhigendes Signal.
In der Eurozone führt das Missverhältnis zwischen einer gemeinsamen Geldpolitik für die gesamte Region und einer auf nationaler Ebene festgelegten Finanzpolitik dazu, dass große Skepsis bezüglich der Bereitschaft der EZB herrscht, ausreichend Geld zu drucken, um die Defizite der Länder auszugleichen. Zudem macht die Tatsache, dass weniger wettbewerbsfähige Volkswirtschaften keine Möglichkeit der Währungsabwertung haben, schmerzhafte wirtschaftliche Anpassungen erforderlich, die den Fortbestand der Währungsgemeinschaft gefährden. Die Anleihenkäufe (QE) der EZB und der deutsch-französische Vorstoß für einen zum Teil durch gemeinschaftliche EU-Anleihen finanzierten EU-Rettungsfonds sind Schritte in die richtige Richtung. An eine gemeinsame Geld- und Fiskalpolitik, wie sie für die Finanzierung von Staatsdefiziten durch die Zentralbank nötig ist, reicht das Modell aber noch nicht heran.
Die Krise hat die Politik dazu gezwungen, ein zuvor als gefährlich erachtetes Maß der Zusammenarbeit zwischen Zentralbanken, Regierungen und Finanzmärkten zu erwägen. Inzwischen ist der Rubikon aber überschritten und diese neuen Formen der Zusammenarbeit haben sich als wichtiger Bestandteil des Instrumentariums zur Bekämpfung der Rezession etabliert.
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