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Binnenwirtschaftliche Ungleichgewichte

Fiskalisch

Offensichtlich wurde das fiskalische Gleichgewicht sowohl durch die nötigen Maßnahmen als Reaktion auf die Corona-Krise als auch durch den darauf folgenden Einbruch von Wachstum und Arbeitsmarkt weltweit wesentlich gestört.

Die größten Sorgen bereiten uns jedoch strukturelle Ungleichgewichte, und nicht der durch die Pandemie ausgelöste, unvorhergesehene, zyklische Schock.

Hier können wir ansetzen, um die Volkswirtschaften, die unserer Meinung nach die Krise erfolgreich meistern können, von denjenigen zu trennen, denen sie auf längere Sicht Schaden zufügen dürfte.

Wir sind davon überzeugt, dass die starken Länder eindeutig identifiziert werden können und dass sie sich fast alle in Asien befinden: Taiwan, Südkorea, Thailand, Indonesien und die Philippinen.

Natürlich zählen wir auch China zu dieser Gruppe.

Wir halten die Steuerkraft des Landes für nachhaltig, da sich zahlreiche industrielle, finanzielle und physische Vermögenswerte in öffentlicher Hand befinden.

Uns ist allerdings auch bewusst, dass die zyklischen, „erweiterten“ Haushaltsdefizite hoch sind und zunehmen.

Letztendlich sind wir auch davon überzeugt – wenn auch weniger intuitiv –, dass Russland eine Bastion fiskalischer Stärke ist.

Das Land hat aus unserer Sicht im letzten Jahrzehnt eine festungsähnliche Volkswirtschaft aufgebaut, die sich auch dem abträglichsten Rückgang der Energiepreise gegenüber als widerstandsfähig erweisen kann.

Wo liegen also die fiskalischen Probleme der Schwellenländer?

Offen gesagt bereitet uns bei den größeren Volkswirtschaften besonders die untragbare Schuldendynamik in Südafrika und Brasilien große Sorgen.

Bedenken haben wir auch angesichts unhaltbarer Defizite in Indien und Saudi-Arabien.

Wir halten Saudi-Arabien für wesentlich anfälliger als die meisten Investoren wahrhaben wollen.

Dort kommt zum strukturellen Haushaltsdefizit die totale Starrheit der Sozialausgaben (Sozialvertrag zwischen der großen königlichen Familie und der breiteren Bevölkerung) hinzu.

Nicht zuletzt könnte für uns auch die konjunkturelle Lage in Mexiko problematisch werden.

Obwohl das Verhältnis der Haushaltsverschuldung des Landes zu dessen Bruttoinlandsprodukt (BIP) auf den ersten Blick nicht besorgniserregend wirkt, ist die Steuerkraft Mexikos relativ beschränkt.

Vorsicht bei den Frontier-Märkten 

Des Weiteren möchten wir betonen, dass sich die größten Schwierigkeiten mit der fiskalischen Dynamik in den Schwellenländern sehr stark auf die Frontier-Märkte konzentrieren, deren Steuerkraft stark unterentwickelt ist.

Zu diesen Märkten zählen neben Ländern wie Argentinien, Ecuador und dem Libanon, die stark von der Unterstützung des Internationalen Währungsfonds (IWF) abhängig sind, Länder, die von manchen als Erfolge des IWF betrachtet werden, wie Ägypten (definitionsgemäß allerdings immer noch ein Schwellenland) und solche, die in Zukunft von der Unterstützung des IWF abhängig sein könnten, wie Pakistan.

Aufgrund dieser Unsicherheitsfaktoren bringen die Frontier-Märkte unserer Meinung nach für Investoren beträchtliche Risiken mit sich.

Abbildung 1: Fiskalische Dynamik
Abbildung 1: Fiskalische Dynamik
Quellen: Internationaler Währungsfonds, JP Morgan, Mai 2020.

Wir sind davon überzeugt, dass die größten Schwierigkeiten im Hinblick auf die fiskalische Dynamik das Wachstum der Frontier-Märkte und bestimmter Schwellenländer beeinträchtigen.

Die untragbare Haushaltsverschuldung von vier größeren Schwellenländern – Ägypten, Brasilien, Mexiko und Südafrika – bereitet uns besondere Sorgen.

Bankenstabilität

Allgemein gesehen sind die aufsichtsrechtlichen Eigenmittelerfordernisse in den Schwellenländern hoch.

Nach vielen Jahren im Zeichen eines enttäuschenden Konjunkturwachstums und von Kreditexpansion gibt es für die Banken der Schwellenländer unserer Ansicht nach nur wenige übermäßige strukturelle Probleme.

Wir sind allerdings davon überzeugt, dass zyklische Probleme im Jahr 2020 schwerwiegende negative Folgen für die Gewinne der Schwellenländer-Banken haben könnten und wahrscheinlich deren Widerstandsfähigkeit hart auf die Probe stellen werden.

Die Länder mit starken Banksystemen halten wir für leicht zu identifizieren – Russland, Peru, Indonesien, die Philippinen und möglicherweise, entgegen den Erwartungen, Ägypten.

Die Banksysteme dieser Länder zeichnen sich durch geringe Fremdfinanzierung, extrem anspruchsvolle Eigenkapitalregelungen sowie eine unserer Meinung nach gute Finanzlage und hervorragende Liquidität aus.

Zur Risikogruppe zählen für uns die Türkei, Indien und Südafrika.

Unter den großen Schwellenländern sehen wir in der Türkei und Indien die größten strukturellen Risiken.

Den türkischen Banksektor halten wir für eine volatile Mischung aus Fremdfinanzierungsrisiken, zunehmenden Problemen im Hinblick auf die Qualität der Vermögenswerte und wirtschaftspolitischen Entscheidungen, die wir als Selbstsabotage betrachten.

Indien hat unter seit langer Zeit angesammelten Altlasten im Hinblick auf Probleme mit der Qualität von Vermögenswerten zu leiden, einschließlich eines Unternehmenskredit-Zyklus bei den Banken des öffentlichen Sektors, der seit 2015 andauert sowie einer seit 2018 vorherrschenden Liquiditätskrise in den Nichtbanken-Finanzsektoren.

Dieses Problem der zyklischen Beeinträchtigung könnte das Fass zum Überlaufen bringen, da die privaten Banken als letzte Bastion des indischen Finanzsektors stark in Mitleidenschaft gezogen werden könnten, falls die Zahl der notleidenden Kredite infolge dieses ausgedehnten Lockdowns stark zunimmt.

Das alles könnte ein wesentlich schwächeres strukturelles Konjunkturwachstum zur Folge haben, besonders ohne angemessene Reaktion auf die durch diese Krise hervorgerufenen Herausforderungen.

Wir halten auch Südafrika aufgrund der einzigartig schwierigen makroökonomischen Rahmenbedingungen (u. a. außenwirtschaftliche Ungleichgewichte, untragbare fiskalische Dynamik und strukturell beeinträchtigtes Wachstum) für problematisch, da diese zu schwerwiegenden zyklischen Problemen für die Rentabilität und das Kapital der Banken führen könnten.

Abbildung 2: Verhältnis der Bankaktiva zum materiellen Eigenkapital
Abbildung 2: Verhältnis der Bankaktiva zum materiellen Eigenkapital
Quellen: HSBC Database, Bloomberg, Stand: 31. Dezember 2019.

Unter den großen Schwellenländern ist das Verhältnis Bankaktiva/materielles Eigenkapital in Indonesien, Russland, den Philippinen und Peru am niedrigsten.

Das materielle Eigenkapital wird durch Subtraktion des Vorzugskapitals und der immateriellen Vermögenswerte vom gesamten Buchwert ermittelt. Es dient der Ermittlung der Fähigkeit eines Finanzinstituts, mit potenziellen Vermögensverlusten fertig zu werden.

Außenwirtschaftliche Ungleichgewichte

Im Allgemeinen haben nur Schwellenländer unter außenwirtschaftlichen Ungleichgewichten zu leiden, da sie nicht über denselben Luxus verfügen wie die Industrieländer.

Die Haushalts- und Geldpolitik von Schwellenländern kann durch außenwirtschaftliche Einschränkungen generell stark beeinträchtigt werden.

Anders als in den USA, wo eine Verwaltung der Nachfrage wie vom Ökonom John Maynard Keynes beschrieben möglich ist (d. h., dass die Regierung die Nachfrage stützen kann indem sie das Vollbeschäftigungsgleichgewicht in der Volkswirtschaft fördert), ist die Möglichkeit, auf diese Strategie zurückzugreifen – wenn dies durch eine Rezession erforderlich werden sollte – fast in allen Schwellenländern beschränkter.

Zahlungsbilanz

Aufgrund der außenwirtschaftlichen Einschränkungen sollten Schwellenländer mit fortlaufenden Leistungsbilanzdefiziten sehr vorsichtig sein.

Wir sind davon überzeugt, dass die Währungen von Ländern, die über solche verfügen, abschwächen, ihre Inflation steigen und das reale Konjunkturwachstum zurückgehen könnten.

Auf den ersten Blick kann man verallgemeinern, dass die Supermächte der Fertigungsindustrie Asiens während dieser weltweiten Wirtschaftskrise widerstandsfähiger waren, weil sie ihre Leistungsbilanzüberschüsse wahren konnten.

Besonders Taiwan und Südkorea haben in dieser Hinsicht eine solide Performance unter Beweis gestellt.

Für die größte Überraschung sorgte aber möglicherweise Russland, denn wir sind überzeugt, dass das Land 2020 trotz des Massakers, für das der plötzliche Einbruch der Rohöl- und Erdgaspreise sorgte, einen geringen Leistungsbilanzüberschuss von 1,5 % erzielen wird.1

Abbildung 3: Leistungsbilanzen – Von allem etwas
Abbildung 3: Leistungsbilanzen – Von allem etwas
Quelle: EM Advisors, Mai 2020.

Unter den größeren Schwellenländern konnten Taiwan, Thailand, Russland und Südkorea 2019 jeweils einen soliden Leistungsbilanzüberschuss vorweisen.

Wir leben nicht in einer „normalen“ Zeit, und bezüglich der Schwellenländer ist Nuancierung heute wirklich wichtig.

Während der starke Rückgang der Ölpreise und die inländische Rezession in vielen Schwellenländern helfen könnten, den Druck auf die Zahlungsbilanzen zu mindern, denken wir, dass diese Entwicklungen in vielen Volkswirtschaften durch einen dramatischen Rückgang der Heimatüberweisungen (von im Ausland tätigen Arbeitnehmern in das Heimatland überwiesenes Geld) und des Tourismus zunichte gemacht werden dürften. Zu diesen Ländern zählen unter anderen:

  • Die Philippinen (wo die Heimatüberweisungen dem IWF zufolge bis Dezember 2018 strukturell 10 % des BIP ausmachten).
  • Große Frontier-Märkte, für die der Rückgang von Heimatüberweisungen aus dem Ausland mit großen Risiken verbunden ist. Zu diesen zählen Länder in Mittelamerika und der Karibik sowie Ägypten, Pakistan und Vietnam.
  • Länder mit sonnigerem Klima wie Thailand, die Türkei und Ägypten, die stark von Tourismuseinnahmen abhängig sind.
Abbildung 4: In den Frontier-Ländern sind die Heimatüberweisungen am höchsten
Abbildung 4: In den Frontier-Ländern sind die Heimatüberweisungen am höchsten
Quelle: Weltbank, Stand: Dezember 2018, das letzte Jahr, für das Daten verfügbar sind. Bei Heimatüberweisungen handelt es sich um Geld, das von im Ausland tätigen Arbeitnehmern in ihr Heimatland überwiesen wird.

In den großen Frontier-Märkten ist das Risiko am stärksten, je nachdem, in welchem Umfang Heimatüberweisungen zum BIP beitragen.

Auslandsverschuldung 

Das Staatsrisiko (die Möglichkeit, dass ein Land seine Staatsanleihen nicht zurückzahlt) ist in den Schwellenländern sehr unterschiedlich und reicht bei den Außenbilanzen von Nettoauslandsgläubigern bis hin zu Schuldnern.

Zu den Ländern, die über günstige Rahmenbedingungen für die Verwaltung des Staatsrisikos verfügen, zählen Taiwan, Südkorea, Peru und Russland.

Auch in Südostasien gibt es Länder mit nennenswerten Stärken – besonders Thailand, die Philippinen und Vietnam.

Indien, Brasilien und Mexiko werden ebenfalls durch angemessen gesunde Rahmenbedingungen für die Auslandsverschuldung gestärkt.

Wir sind davon überzeugt, dass die im Hinblick auf das Staatsrisiko schwächeren Länder ebenso leicht zu identifizieren sind.

Unserer Meinung nach handelt es sich bei den größeren Volkswirtschaften um die Türkei und Südafrika, und bei den weniger entwickelten Ländern um Ägypten und Pakistan.

Die meisten Länder, von denen wir denken, dass sie das größte Staatsrisiko aufweisen, zählen zu den Frontier-Märkten: Argentinien, Ecuador und weite Teile Subsahara-Afrikas.

Abbildung 5: Verhältnis der Reserven der Länder zur Kennzahl zur Bewertung der Angemessenheit von Reserven (ARA) des IWF
Abbildung 5: Verhältnis der Reserven der Länder zur Kennzahl zur Bewertung der Angemessenheit von Reserven (ARA) des IWF
Quelle: IWF, Stand: Dezember 2018, das letzte Jahr, für das Daten verfügbar sind. Bei der Kennzahl zur Angemessenheit der Reserven handelt es sich um eine Messung des potenziellen Liquiditätsbedarfs in Devisen eines Landes unter widrigen Umständen, für den Reserven als Vorsichtspuffer eingesetzt werden können. Ein Verhältnis zwischen 1 und 1,5 gilt als angemessen.

Unter den Staaten verfügen Russland, Peru, Taiwan und Südkorea über die besten Allgemeinsituationen in Bezug auf die Angemessenheit der Reserven.

Welche Volkswirtschaften könnten aufgrund der Pandemie vor die Wand fahren?

Um mehr darüber zu erfahren, lesen Sie den nächsten Artikel.

Fußnoten

  • 1 Zum 31. März 2020 hielt das Portfolio der Invesco Emerging Markets Strategy Positionen in Novatek und Femsa (Fomento Economico Mexicano).

Risikohinweis

  • Der Wert von Anteilen kann schwanken. Dies kann teilweise auf Wechselkursänderungen zurückzuführen sein. Es ist möglich, dass Anleger bei der Rückgabe ihrer Anteile weniger als den ursprünglich angelegten Betrag zurückerhalten. Da ein großer Teil der Strategie in Schwellenländer investiert wird, sollten Sie bereit sein, erheblich große Wertschwankungen der Strategie in Kauf zu nehmen. Die Strategie kann in bestimmte Wertpapiere investieren, die in China notiert sind, was erhebliche regulatorische Beschränkungen mit sich bringen kann, die sich auf die Liquidität und/oder die Anlageleistung der Strategie auswirken können. Die Strategie investiert in eine begrenzte Anzahl von Beteiligungen und ist weniger diversifiziert. Dies kann zu großen Schwankungen im Wert der Strategie führen.

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    EMEA4854/2020