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Die US-Inflation ist kein temporäres Phänomen

Silberne Weltkugel am Columbus Circle in Manhattan New York, USA
Die wichtigsten Aussagen in Kürze
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Die Inflation ist im Wesentlichen auf ein übermäßiges Geldmengenwachstum in den vergangenen 18 Monaten zurückzuführen und nicht auf Lieferkettenunterbrechungen
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Anstatt schon Anfang 2022 wieder auf 2% zurückzukehren, dürfte die US-Inflation auch 2022 und 2023 noch erhöht bleiben und bei 4-6% liegen
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Mit Blick auf das vor uns liegende Jahr stellt sich aus Sicht der Finanzmärkte vor allem eine Frage: Wie wird die US-Notenbank (Fed) auf diese Problematik reagieren – wird sie nichts unternehmen oder ihre geplanten Zinserhöhungen vorziehen?
Die Ursache

In den vergangenen zwei bis drei Jahrzehnten haben die Ökonomen an den Universitäten und in den Zentralbanken die Beziehung zwischen Geldmenge und Preisen nicht systematisch untersucht – daher herrscht jetzt eine allgemeine Verwirrung über die fundamentalen Treiber der Inflation. Einerseits wurden relative und absolute Preise verwechselt, andererseits wurde nicht untersucht, wie sehr das Geldmengenwachstum in den einzelnen Volkswirtschaften von seiner jeweils angemessenen Rate abgewichen ist.

Die Inflation beginnt mit einem Anstieg der Geldmenge. Wenn die Geldmenge schneller wächst, als zur Finanzierung des realen BIP-Wachstums erforderlich ist, bedeutet dies höhere Preise (unter Berücksichtigung einer gewissen Marge für den jährlichen Anstieg der Nachfrage nach Geld, das in Finanzportfolios oder für Transaktionen gehalten werden soll).

Seit Ausbruch der Pandemie (vom Februar 2020 bis zum Juli 2021) hat sich die Geldmenge M2 in den USA um fast 5,3 Billionen USD erhöht. Das entspricht einem Wachstum von 34,4% in 18 Monaten2. Diese Ausweitung übersteigt bei Weitem jeden denkbaren Finanzierungsbedarf in der Realwirtschaft oder jede denkbare dauerhafte Erhöhung der Geldnachfrage.

 Die Folgen

Als erstes kam es zu einem enormen Anstieg der Preise von Vermögenswerten in der heimischen Wirtschaft, also der Aktienkurse, der Immobilienpreise und der Rohstoffnotierungen. Der S&P 500 Index ist seit seinem Tiefpunkt am 23. März 2020 um rund 95% gestiegen, der S&P Core-Logic Case-Shiller Index der nationalen Hauspreise um fast 25%3.

In der zweiten Phase erholte sich die Wirtschaftsaktivität. Neue Infektionswellen wie die jüngste Ausbreitung der Delta-Variante des Coronavirus haben diesen Aufschwung etwas gebremst. Dennoch dürfte die Wirtschaftstätigkeit bis weit in das Jahr 2022 hinein sehr lebhaft bleiben, gestützt durch einen beispiellosen Anstieg der Kaufkraft.

In der dritten Phase folgte die Aushöhlung der Kaufkraft im Inland, die bereits vor mehreren Monaten eingesetzt und sich zuletzt beschleunigt hat. Trotz anekdotischer Beobachtungen wie dem von Verfechtern der Theorie eines lediglich vorübergehenden Anstiegs der Inflation beschworenen Rückgang der Holzpreise notieren die breiten Rohstoffindizes so hoch wie zuletzt vor dem Ölpreisverfall der Jahre 2014/15. Wir gehen fest davon aus, dass sich die höheren Preise für Rohstoffe und andere Ausgangsmaterialen für die industrielle Verarbeitung in einigen Monaten in den Preisen für Waren und Dienstleistungen niederschlagen werden.

Der Gesamtindex für die Verbraucherinflation in den USA ist von Februar 2020 bis August 2021 um 5,5% gestiegen. Gegenüber dem Tiefpunkt des Index im Mai 2020 haben sich die Verbraucherpreise bis August 2021 um 6,7% erhöht4. Da die Preise für Waren und Dienstleistungen im Allgemeinen als letzte reagieren, haben diese sich bislang kaum verteuert. Aufgrund der bekannten „langen und variablen Wirkungsverzögerungen“ dürften sich diese Preise jedoch innerhalb von zwei bis drei Jahren deutlich stärker nach oben bewegen, damit sich die Lücke zwischen dem entstandenen Geldmengenüberschuss und der vom Wirtschaftswachstum und der höheren Geldnachfrage absorbierten Geldmenge wieder schließt.

 Die Dauer

Doch das ist nur der Anfang. Was zunächst als angebotsseitiges, auf Lieferengpässe, Lieferkettenunterbrechungen und Ungleichgewichte zwischen Angebot und Nachfrage zurückzuführendes Problem erscheint, wird sich zu einer viel weitreichenderen nachfrageseitigen Problematik entwickeln. Ein Mangel an Mikrochips, Autos, Frachtcontainern, Öl und Gas dürfte zu steigenden Mietpreisen, höheren Einzelhandelspreisen und letztlich höheren Löhnen führen.

An dem Punkt könnten wir zu hören bekommen, dass die Inflationserwartungen drohen, sich von der 2-Prozent-Marke zu lösen, die die Fed als entscheidend für die Wahrung eines geringen Preisdrucks ansieht. Gierige Geschäftsleute, Verbraucher und Lohnempfänger – nur nicht die Fed – könnten für die Inflation verantwortlich gemacht werden. 

Anstatt, wie im Jahr 2021, von einer „vorübergehenden“ Inflation zu sprechen, könnten die Fed und andere Zentralbanken diese Phänomene im Jahr 2022 als eine „länger andauernde, aber dennoch kurzfristige“ Dynamik beschreiben.

Beides trifft nicht zu.

Tatsächlich nahm die Inflation ihren Anfang, als die Fed mit Ausbruch der Pandemie begann, die Geldmenge M2* anzukurbeln. Daraufhin stieg diese in den ersten vier Monaten der Pandemie um 18% und ist inzwischen um insgesamt 34,4% gewachsen. Wie von Milton Friedman vorhergesagt, hat es fast zwei Jahre gedauert, bis sich der Anstieg der Geldmenge M2* in allgemeinen Preissteigerungen niedergeschlagen hat. Außerdem wird die Inflation vermutlich noch etwa zwei Jahre anhalten, nachdem das Geldmengenwachstum wieder gezügelt worden ist. Nach den aktuellen Daten wird es bis Ende 2023 dauern, bis die Inflation in den USA wieder unter Kontrolle ist2. 

 Relativ oder absolut; spezifisch oder allgemein

Bei dieser Analyse ist zu beachten, dass die aus dem Anstieg der Geldmenge resultierende Inflation letztlich alle Preise in der Wirtschaft betrifft. Anders ausgedrückt ist die Inflation ein Anstieg des allgemeinen Preisniveaus oder des absoluten Niveaus eines Preisindexes.

Von politischen Entscheidungsträgern, Zentralbankern, den meisten Ökonomen und Journalisten hören wir dagegen ständig, dass die Inflation in einem bestimmten Monat das Ergebnis spezifischer Preisbewegungen ist. So wurde uns in den vergangenen sechs Monaten wiederholt gesagt, dass Lieferkettenunterbrechungen zu höheren Kosten für Mikrochips, Containertransporte oder Autos und Lkw führen. Als nächstes könnten die Energiepreise für den Anstieg der monatlichen Preisindizes verantwortlich gemacht werden.

Doch das sind alles relative Preisveränderungen. Wie ich in „Upside Down Theories of Inflation“, erläutert habe, steigen die Preise zufällig und je nach Verfügbarkeit der betreffenden Ware oder Dienstleistung. Einer meiner Lieblingsökonomen, Al Harberger, sagte immer: „Wachstum und Inflation sind wie Pilze. Wenn man eine Anzucht aus Sporen hat, weiß man, dass man Pilze bekommt, aber wo sie letztlich sprießen, bleibt völlig dem Zufall überlassen.“

Im aktuellen Umfeld ist es aufschlussreich, die Preisänderungen in den USA oder Großbritannien mit denen in der Schweiz oder in Japan zu vergleichen. Da Lieferkettenstörungen, ein Mangel an Mikrochips, Probleme in der Autoherstellung oder der jüngste Anstieg der Energiepreise globale Probleme sind, sollten die Preise in den USA, Großbritannien, der Schweiz und Japan theoretisch in etwa gleich schnell steigen.

Dem ist aber nicht so. Am schnellsten steigen die Verbraucherpreise in den USA (mit einer Jahresrate von 5,25% im August), gefolgt von Großbritannien (3,2% im August), während sie in der Schweiz bislang kaum angezogen sind (0,9% im September) und in Japan immer noch fallen (-0,4% im August)5.

Woran liegt das? Die unterschiedlichen Inflationsraten stehen im direkten Zusammenhang mit dem relativen Geldmengenwachstum in den einzelnen Volkswirtschaften. Die USA haben in den vergangenen 18 bis 24 Monaten das mit Abstand stärkste Geldmengenwachstum verzeichnet. Auf Platz 2 folgte Großbritannien. Dagegen ist die Geldmenge in der Schweiz und Japan nur sehr moderat gestiegen. Was sagt uns das? „Inflation ist immer und überall ein rein monetäres Phänomen“ (Milton Friedman).  

Für die USA prognostiziere ich eine Inflation von rund 5% bis 6% im Jahr 2022 und etwa 4% im Jahr 2023. Kann man derartige Raten wirklich als vorübergehend bezeichnen?

 Die Antwort

Aus Sicht der Finanzmärkte lautet die wichtigste Frage des Jahres 2022, wie die stimmberechtigten Mitglieder der US-Notenbank auf diese Flut von schlechten Nachrichten reagieren werden. Werden sie die Hände in den Schoß legen und nichts tun? Oder werden die Präsidenten der regionalen Ableger der Notenbank die Gouverneure in Washington überstimmen und dazu zwingen, ihre derzeit für frühestens Ende 2022 geplanten Zinserhöhungen vorzuziehen?

Meiner Ansicht nach sind mehrere Aspekte der Geldpolitik zu wenig hinterfragt worden. Dazu gehören die Umstellung der Fed auf eine flexible Steuerung der Inflation rund um ein durchschnittliches Inflationsziel (Flexible Average Inflation Targeting, FAIT), die angeblichen Vorzüge der von der Fed gezahlten Zinsen an Banken (Zinsen auf Reserven, IOR) und die vermeintliche Notwendigkeit, die Zinsen nach jeder Krise sofort auf fast Null zu senken. Kürzlich wagte ein mutiger Fed-Volkswirt1, das Dogma der Verankerung der Inflationserwartungen in Frage zu stellen – was einer Bloßstellung à la „Der Kaiser trägt keine Kleider“ gleichkam.

Zahlreiche Bücher beschäftigen sich mit dem Zusammenhang zwischen Demographie bzw. gesellschaftlicher Alterung und Inflation, zwischen Globalisierung und Disinflation oder der Frage, wie China in den letzten 20 bis 30 Jahren de facto zur Disinflation beigetragen hat. In allen diesen Fällen handelt es sich um Verwechslungen oder Beispiele für den „post hoc, ergo propter hoc“-Trugschluss, wenn Analysten annehmen, dass zwischen zwei aufeinanderfolgenden Ereignissen ein Kausalzusammenhang besteht.

Diese analytischen Fehler in der akademischen und angewandten Ökonomie stehen hinter der Unfähigkeit der Fed, das Geldmengenwachstum – direkt oder indirekt – unter Kontrolle zu halten, und sind der wahre Grund für ihre Untätigkeit angesichts des sich aufbauenden Inflationsdrucks. Die Konsequenzen wird die Fed in den nächsten zwei Jahren tragen müssen.

Fußnoten

  • Rudd, Jeremy B. (September 2021). “Why Do We Think That Inflation Expectations Matter for Inflation? (And Should We?),” Finance and Economics Discussion Series 2021-062. Washington: Board of Governors of the Federal Reserve System, https://doi.org/10.17016/FEDS.2021.062           .

    2 Federal Reserve Board

    3 Bloomberg

    4 All items index, Bureau of Labor Statistics (BLS)

    5 Refinitiv Datastream

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    Stand der Daten: 02. November 2021, sofern nicht anders gegeben.

     

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    Herausgegeben durch Invesco Asset Management Deutschland GmbH, An der Welle 5, 60322 Frankfurt am Main, Deutschland.